Zugegeben, kurz könnte man schon an einen Yeti denken, sieht man Ömer Gülşen durch das Dickicht aus der Ferne heraufsteigen. Ein Baum von einem Mann! So einer, dem man als Frau hier in der Einsamkeit des lykischen Taurusgebirges auf den ersten Blick lieber nicht alleine begegnen will. Auf den zweiten ist man dann sehr froh, Ömer um sich zu haben. Kein anderer kennt sich hier im bergigen Hinterland Antalyas so gut aus wie er. Der 60jährige Bergführer weiß, wo es lang geht in den uralten Zedernwäldern in der Nähe von Tülek und auch anderswo in den türkischen Bergen, von denen er alle Gipfel bestiegen hat.
Ohne Guide kommt man in dieser Region nicht weit. Abgesehen von Abschnitten des Lykischen Weges gibt es hier noch so gut wie keine erschlossenen Pfade oder ausgeschilderten Wanderwege und auch keinerlei Kartenmaterial. Und so ohne weiteres auf eigene Faust die Berge erobern kann man hier auch nicht, für viele Touren sind offizielle Genehmigungen erforderlich. Doch der Weg in das schroffe Küstengebirge und in das Hinterland Antalyas mit seinen hochalpinen Gipfeln der Akdag, der weißen Berge, lohnt allemal. Unberührte Natur mit einer artenreichen Flora und Fauna, Hirten und Nomaden in einsamer Landschaft, dazu eine tief verwurzelte Tradition der Gastfreundschaft in den Bergdörfern geben Wanderern und Bergfreunden einen gänzlich anderen Blick auf die sonst so strandbetonte, lebhafte All-Inclusive-Region um die Hafenstadt Antalya.
Aktivtourismus in naturverträglicher Form
Bizarre Begegnungen auf dem Tahtali
Sportliche Herausforderung und vielschichtige kulturelle Begegnungen prägen diese Reise. Beim ca. dreistündigen Aufstieg von Gedelma zum Tahtali (Olympos, 2318m) geht es vorbei an einer versteckten Yayla, einer kleinen Alm, wo die Tochter in ihren Semesterferien mithilft, die Tiere versorgt und Ziegenkäse, Honig und eingelegtes Gemüse notdürftig verpackt zum Mitnehmen anbietet. Nach einem steilen Anstieg durch den Wald, der immer wieder grandiose Ausblicke ins Tal freigibt, sitzt ein ganzes Stück weiter oben im karstigen Gelände ihre Mutter einsam mit ihrer Ziegenherde und wird von ihren zwei Hütehunden gut bewacht. Man sieht ihr das harte Leben in den Bergen an: herb, ausgemergelt, aber dennoch mit sehr stolzem Gesichtsausdruck. Ihr ist es wichtig, dass die Tochter studiert und auch ein anderes Leben kennenlernt, erzählt sie. Ömer gibt Anweisungen zum richtigen Verhalten, die Volkan übersetzt. Er führt die Gruppe geschlossen an den nervös bellenden Hunden vorbei.
Wolkenspiele oben über dem karstigen Gipfelaufbau, wo die Bergstation der Seilbahn als Ziel der Wanderung auftaucht. Bizarre Begegnungen mit vielen leicht bekleideten, russischen Touristen dort oben auf dem zugigen Gipfelplateau, was an viele Bergstationen in den Alpen erinnert, die inzwischen ja ebenfalls stark von russischen Touristen belagert werden. Bei der Talfahrt mit der Olympos-Seilbahn eröffnen sich weite Blicke auf die weiße Küstenlinie südlich von Kemer, bevor es weitergeht ins kleine, nahezu touristenfreie Städtchen Elmali.
Früher einmal eine wichtige und bedeutende osmanische Provinz- und Pilgerstadt, wartet Elmali heute mit Moschee, alten Herrenhäusern, einem lebendigen Markt und einem faszinierenden Blick auf den markanten, 3.086 Meter hohen Kizlarsivrisi auf. Der Weg zum Fuße dieses höchsten Gipfels im mittleren Taurusgebirge führt durch ein Zedernschutzgebiet mit einem Wanderroutennetz von rund 30 Kilometern. Schön: eine 894 Jahre alte und über 32 Meter hohe Zeder als floraler Höhepunkt im Wald, in dem auch ca. 60 Vogelarten, Luchse, Wildschweine, Wölfe, Hasen und viele weitere Tierarten leben. Auf dem Weg hinunter zum kleinen Küstenört Adrasan geben ein Besuch eines Alevitendorfes samt Heiligengrab, eines kleines Biobauernhofes und einer idyllischen, aber derzeit noch im Dornröschenschlaf befindlichen Bikelodge in Turunҫova, die durch viel soziales Engagement (u.a. durch die Jugend des DAV) wiederbelebt werden soll, tiefe Einblicke in das Land und ihre ursprüngliche, sehr herzliche Gastfreundschaft.
Ömer ist ein Mann der Berge und bleibt deshalb lieber oben im Hinterland. Dort, wo sein alles durchdringender Ruf aus unverständlichen Vokalen noch lange als Echo schallt und vom Weg abgekommenen Wanderern als Orientierungshilfe dient. Ein Ruf, der ebenso lange im Gedächtnis bleibt wie auch die vielen, hier neu entdeckten Seiten dieses kontroversen Landes. Petra Rapp
Hier weitere Bilder aus der Taurusregion: