Wir sind dann mal weg... Entschleunigung spüren beim Pilgern vor der Haustür


Pilgern ist spätestens seit Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ wieder in. Dazu muss man nicht eigens bis nach Spanien. Pilgern kann man auch vor der Haustür bei spirituellen Wanderungen und geführten Tages-Pilgertouren auf dem Jakobsweg in Oberbayern.

Die Kirchenglocken der Jakobuskirche in Wallgau läuten Sturm. Passend zur Begrüßung einer bunt gemischten Gruppe von Pilgerwanderern, die sich hier im Heimatort von Biathlon-Star Magdalena Neuner zu einer Tagespilgeretappe von rund 24 Kilometern über Krün und Mittenwald bis ins Leutaschtal auf dem grenzübergreifenden Jakobsweg „Isar-Loisach-Leutascher Ache-Inn“ trifft. Dieser Jakobsweg, der von Kloster Schäftlarn bis ins Tiroler Telfs führt, verbindet den Münchner mit dem Südostbayerischen und dem Tiroler Jakobsweg. Ziel aller Jakobswege, die sich weit verzweigt über ganz Europa ziehen, ist das Grab des Apostels Jakobus im spanischen Santiago de Compostela.

Herbert Konrad
Doch wer hat schon Zeit, sich wie Hape Kerkeling mehrere Wochen aus dem Staub zu machen und bis dorthin zu pilgern? „Pilgern hat sehr viel mit Entschleunigung und innerer Zentrierung zu tun. Das kann man auch schon an einem Wochenende oder einem Tag bei uns erleben“, meint Herbert Konrad. Der theologische Referent ist selbst begeisterter Pilger, bietet beim Kreisbildungswerk Bad Tölz-Wolfratshausen e.V. unter anderem Tagespilgertouren an und ist Ausbilder von sogenannten „Pilgerbegleitern“. Sie sollen die Menschen auf dem Weg vom Alltagsstress hin zum eigenen Ich mit sogenannten „spirituellen Impulsen“ und kurzen Austauschrunden, Meditationsübungen, gemeinsamem Singen oder auch Schweigestrecken begleiten. „Wir bieten in unserem Pilgerprogramm im Oberland auch Pilgerwanderungen für besondere Lebenssituationen wie Pilgern für Frauen mit Krebserkrankungen oder für Menschen in Trauersituationen. Die wollen oft einfach nur mit Gleichgesinnten wandern und werden dabei von thematisch geschulten Menschen begleitet, die ihnen auf Wunsch Hilfestellungen geben.“ 

Foto: Petra Rapp
In der bunt gemischten Gruppe in Wallgau haben sich überwiegend erfahrene Pilgerwanderer zusammengefunden, die an diesem Tag in der wunderschönen Karwendelregion begleitet von Herbert gemeinsam wandern wollen. Bei vielen baumelt die Pilgermuschel, das Zeichen aller Jakobspilger, an den Rucksäcken. Dabei sind Menschen wie Silvio, der bei langen Pilgerreisen durch Frankreich seine desaströse Kindheit in einem österreichischen, katholischen Kloster verarbeitet und neuen Lebensmut sowie seine innere Ruhe wiedergefunden hat. Ganz nach dem dänischen Religionsphilosophen Sören Kierkegaard, der „keinen Kummer kennt, von dem er sich nicht freigehen könnte.“ Gabi, früher aktive Leichtathletin, hat sich inzwischen ebenfalls völlig auf die langsamere, besinnlichere Art des Gehens eingelassen und schon über 1200 Kilometer des Jakobswegs hinter sich gebracht. Bettina pilgert dagegen das erste Mal und ist skeptisch. Sie ist sonst immer mit hohem sportlichem Anspruch draußen unterwegs und hat „mit der Kirche gar nichts am Hut“. Ihr Fazit am Ende in Unterleutasch, wo alle Teilnehmer bei gemeinsamer Brotzeit über den Tag resümierten: „Der Entschleunigungseffekt war deutlich zu spüren, das Naturerlebnis sehr intensiv. Der Tag hat Lust gemacht auf weitere Touren.“ Pilgern ist eben nicht einfach nur Wandern. „Pilgern ist ein bewegtes Innehalten. Man wandert mit den Füßen, aber man pilgert mit dem Herzen!“, sagt Hape Kerkeling. Petra Rapp

Geführte Pilgertermine im Oberland:
16. Juni: vom Kloster Schäftlarn zum Kloster Beuerberg
17. Juni: Vom Kloster Beuerberg zum Kloster Benediktbeuren
23. Juni: von Wallgau nach Leutasch
11. August: Pilgern für Frauen mit Krebserkrankungen von Weyarn nach Dietramszell
29. September: Pilgern für Menschen in Trauersituationen
12. Oktober: Pilgern für Führungskräfte und Menschen in Verantwortung
Kosten pro Person ca. 10,-- Euro zzgl. evtl. Rückfahrtskosten. Alle Infos und weiteren Termine unter www.bildungswerk-toelz.de

Weitere Ansprechpartner zum Pilgern rund um München:
Erzbischöfliches Ordinariat, Abt. Spiritualität, Fachbereich Pilgern und Wallfahren
Dachauer Str. 5/III Tel 089-559801-0, www.spiritualitaet-leben.de
KBW Brucker Forum, “Rasso-Weg”St. Bernhard-Str. 2, 82256 Fürstenfeldbruck, 08141-44994, www.brucker-forum.de
Evangelische Stadtakademie, Herr Michael Kaminski, Georg-Wilhelm-Str. 24,80331 München, 089-5490270, www.evstadtakademie.de

Jakobswege in Oberbayern
Münchner Jakobsweg: Von München am Anger über Pullach, Starnberger See, Ammersee, Kloster Andechs, Allgäu bis nach Bregenz am Bodensee (ca. 290 km, www.deutsche-jakobswege.de)
Jakobsweg Isar-Loisach-Leutascher Ache-Inn: Vom Kloster Schäftlarn im Isartal vorbei am Kloster Benediktbeuern, an Kochel- und Walchensee in die Alpenwelt Karwendel und weiter ins Tiroler Inntal nach Mötz (125 km, www.auf-dem-jakobsweg.info)
Südostbayerische Jakobswege: Der "Voralpine Jakobsweg" führt in Ost-West-Richtung von Salzburg nach Peißenberg (ca. 260 km). Der "Jakobsweg Böhmen - Bayern - Tirol" (ca. 450 km) führt vom tschechischen Krumau in südwestlicher Richtung nach Breitenbach in Tirol, wobei man Rosenheim wahlweise östlich oder westlich umgehen oder in Berbling auf den Voralpinen Jakobsweg wechseln kann (www.deutsche-jakobswege.de)

Ausrüstung
Je länger die Pilgertour, umso funktioneller und leichter sollte die Ausrüstung sein. Feste, gut eingelaufene Wanderschuhe, funktionelle, bequeme Bekleidung, die sich einfach waschen lässt und schnell trocknet. Wasserdichte, atmungsaktive Regenbekleidung. Wichtig ist ein gut angepasster, ausreichend großer Rucksack mit Regenschutz. Eine Kopfbedeckung als Sonnenschutz, Sonnencreme, ein Halstuch als Kälteschutz, Erste-Hilfe-Set mit Blasenpflaster, Trinkflasche, Brotzeitbox, kleine Notfallapotheke, Waschmitteltube, wasserdichtes Bag für Ausweise und Geldbeutel, eventuell Wanderstöcke. Zudem ein Handy für den Notfall, detailliertes Kartenmaterial oder GPS-Gerät.

Pilgerpass
Wer öfter oder länger pilgern will, sollte sich einen Pilgerpass zulegen und ihn auf der Strecke abstempeln lassen. Die Stempel belegen die gelaufene oder geradelte Strecke. Der Pass ist Voraussetzung für die Aufnahme in den Pilgerherbergen am Weg sowie für den Erhalt der Pilgerurkunde. Der Pass ist in allen Pilgerherbergen oder unter www.jakobus-gesellschaften.de erhältlich.

Dieser Artikel ist auch auf der tz Draußen-Seite erschienen: Link