Mittsommer: Unterwegs in Schwedisch Lappland

Schweden ganz oben. Über dem Polarkreis. Eine Region, die Assoziationen hervorruft: Samikultur, Rentiere, große Weiten mit unendlich vielen Sportmöglichkeiten für enthusiastische Wintersportler. Doch Schwedisch Lappland ist auch im Sommer und vor allem zur Mittsommerzeit extrem reizvoll für Outdoorsportler.

Kiruna Airport, welch gemütlicher Kontrast zu den großen deutschen Flughäfen wie Frankfurt oder München. Die versprochene, Natur gegebene Ruhe, die wir hier 200 Kilometer nördlich des Polarkreises in den nächsten Tagen erleben wollen, beginnt schon hier. Erstes Ziel: Jukassjärvi, ein kleiner Ort, aber durch sein Ice-Hotel relativ berühmt. Im Mittwinter ist das Leben hier geprägt von Eis, Schnee und wochenlang hohen Minusgraden. Jetzt, im Mittsommer, bei angenehm warmen Temperaturen braucht es allerdings schon ein bisschen Phantasie, sich die Eiszeit hier samt Iglus auf den jetzt doch ziemlich morastigen Ausläufen des Seeufers vorzustellen. Wer damit Probleme hat, kann sich in der dortigen Eisfabrik, in der schon jetzt die kalten Klötze für die Iglus des nächsten Winters produziert und gelagert werden, inspirieren und abkühlen. Die gemütlichen Lodges hier lohnen aber auf alle Fälle auch im Sommer zum Übernachten.

Samis pflegen ihre Kultur
Wir brechen am nächsten Morgen auf nach Nikkaluokta, einem mehrerer Ausgangspunkte vieler Wanderungen auf dem königlichen „Kungsleden Trail“, der sich mit über 425 Kilometern Wegstrecke von Abisko im Norden bis Hemavan im Süden durch Schwedisch Lappland zieht. Unser Weg ist nur ein kleines, aber sehr feines Teilstück von insgesamt elf Kilometern in zwei Etappen bis zur Fjällstation des Kebnekaise, mit 2104 Metern höchster Berg Schwedens. Wir sind die ersten Gäste hier Nikkaluokta in dieser Sommersaison. Anna, die Wirtin und eine von insgesamt rund 14 Tausend Samis in Schwedisch Lappland, erzählt von ihrer Familie, die sich 1910 hier niedergelassen hat und die Samikultur nach wie vor lebt und pflegt. Mit der eigenen, dem Finnischen sehr ähnlich klingenden Sprache, mit eigenen Liedern, der eigenen Tracht und der eigenen Landesflagge in den Samifarben Blau, Gelb, Grün und Rot. Die Einheimischen leben nach wie vor von der Rentierjagd. Und zunehmend vom Tourismus, der hier von Juni bis Oktober floriert. „You never heard such silence like here“ gibt sie uns mit auf unsere erste, fünf Kilometer lange Teiletappe zum Ladtjojaure-See. Der tierbegeisterte Teil unserer Gruppe legt den Weg auf dem Rücken von Pferden zurück. Wir dafür bepackt mit schweren Rucksäcken, weil Tentipis, Schlafsäcke und aufblasbare Matten zum Übernachten mit dabei. Goldgelbe Moltebeeren wie auch die Hinterlassenschaften der Rentiere säumen die Wege durch die Wälder und Moore. In den klaren Flussarmen füllen wir unsere Trinkflaschen auf. Anfangs wird noch viel geredet, dann verfällt jeder immer mehr in seinen eigenen Gehrhythmus, wird stiller und beginnt, die wirklich unglaubliche Ruhe der Natur hier in sich aufzunehmen. Wir würden eigentlich gerne noch weiter gehen. Doch unser erstes Ziel ist erreicht und der Duft von frisch gegrilltem Rentierburger steigt uns bei der Ankunft am See in die Nase. Gemütlich ist es nicht direkt, es hat angefangen zu nieseln und die Mücken schwirren umher. Unter fachmännischer Anleitung von Patrik bauen wir die Tentipis auf und gönnen uns noch einen letzten Schluck am Lagerfeuer, bevor sich jeder einen trockenen Platz im Zelt sucht.

Unverhofftes Skitourenvergnügen
Ein Boot bringt uns am nächsten Morgen sechs Kilometer flussaufwärts, wo wir die nächsten acht Kilometer angehen. Entspannt und innerlich schon ganz weit weg vom sonst so hektischen Alltag. Die Landschaft wird karger, weiter. Nur selten sieht man andere Menschen, ab und zu ein paar Zelte mitten in der Landschaft. Immer öfter aber wilde Rentierherden. Outdoor pur. Die Bergflanken, die unseren Weg säumen, werden höher. Rinnen mit Restschnee des Winters reichen noch relativ weit hinunter. Von außen wirkt die Kebnekaise Mountainlodge relativ kühl, innen überrascht sie mit sehr viel Charme und stilvoller Gemütlichkeit. Gerald, unser mitgereister Bergführer aus Österreich, wirkt schon eine zeitlang etwas abwesend, unruhig. „Hast sie gesehen, gehst mit?“ Ich hab keine Ahnung, von was er spricht. Er weiß um meine Skileidenschaft und wird deutlicher. „Die Rinne dort oben rechts, ein paar Schwünge werdens schon werden!“ Völlig verdutzt stimme ich zu. Er hat schon mit den Jungs von der Lodge gesprochen, die extra für uns die bereits für den Sommer eingelagerte Skitouren-Leihausrüstung noch mal rausholen. Sarah aus Schweden und Kevin aus Frankreich schließen sich uns an, der Rest der Truppe erklärt uns für verrückt, als wir nach dem Abendessen bei Nieselregen gegen 22 Uhr losziehen. Erst durch viel Gestrüpp und Morast, dann die sulzige Rinne hinauf. Es beginnt stärker zu regnen. Sarah, nass bis auf die Haut, hat bald keine Lust mehr und will umdrehen. Ungefähr 200 Meter unterhalb des höchsten Punktes. Gerald und Kevin sind unsicher, ich will weiter. Sarah ist einverstanden, dass wir weitergehen und fährt alleine ab. Die letzten Meter werden steiler, aber das Gefühl dieser völlig spontanen, ziemlich verrückten Midsommernachts-Skitour trägt uns hinauf und wir kommen nach rund 600 Höhenmetern Aufstieg so ziemlich genau um Mitternacht oben an und fahren in dieser taghellen Nacht ein paar traumhafte Firnschwünge ab, von den anderen per Fernglas von der Lodgetreppe aus bestaunt. Ein völlig unverhofftes, spontanes, sportliches Mittsommernachts-Erlebnis in unglaublich schöner Natur, das noch lange nachwirkt.
Die Stimmung am nächsten Morgen in der Lodge ist ausgelassen, fröhlich. Blasenpflaster machen beim Frühstück die Runde, denn den Rückweg wollen wir diesmal ohne Übernachtung an einem Stück gehen. Stellen an den Füßen, die schon leicht gerötet sind, werden besser schon einmal vorsorglich verklebt. Der Weg zurück nach Nikkaluokta durch die nahezu unberührte Natur mit ihrer unglaublich schönen Flora und Fauna und der berauschenden Stille hier in Schwedisch Lappland wird noch einmal zum Erlebnis für alle Sinne.
Infos unter www.visitsweden.com, www.swedishlapland.com, www.scandinavianoutdoors.com
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